In Deutschland leben nach Schätzungen über zwei Millionen Menschen mit einer Essstörung, die sie im Alltag beeinträchtigt. Das Konzept des „Intuitive Eating“ ist ein Ansatz, wieder zu einem gesunden Essverhalten zurückzufinden, quasi eine Art „Anti-Diät“, indem man (wieder) mehr auf den eigenen Körper hört. Denn Intuitive Eating – zu Deutsch intuitives Essen – bezeichnet eine Ernährungsform, bei der man – grob gesagt – das isst, was einem guttut. Und das wird nicht durch Kalorientabellen oder Nährwertanalysen bestimmt, sondern durch ein gesundes Bauchgefühl.
Essen, wenn man hungrig ist und damit aufhören, wenn man satt ist – ist einer der Grundpfeiler des „Intuitive Eating“, das die beiden US-Amerikanerinnen Elyse Resch und Evelyn Tribole in ihrem gleichnamigen Buch schon vor 25 Jahren vorgestellt haben. Das Konzept hat allerdings weit mehr zu bieten: Neben der Rückbesinnung auf körpereigene Signale hinterfragen die Ernährungstherapeutinnen auch die Einteilung in „gute“ und „schlechte“ Nahrungsmittel, wie es bei vielen Diäten der Fall ist. Das ist das Schöne am intuitiven Essen, im Gegensatz zu Ernährungsplänen mit externen Regeln. Es ist flexibel und für jeden Menschen einzigartig. Denn so wie jeder Mensch eine ganz individuelle Körperphysiologie und einzigartige Lebensumstände hat, so muss auch die Ernährung entsprechend angepasste Bedürfnisse erfüllen.
Um Intuitive Eating rankt sich allerdings eine Vielzahl von Mythen und Missverständnissen, die gerade von Kritikern dieser Ernährungsweise – nicht selten Profiteure der Diätindustrie – verbreitet werden:
Mythos #1
Intuitives Essen bedeutet, dass man essen kann, was man will und wann immer man will
Ja, beim intuitiven Essen geht es genau darum, alles zu essen, was man will, wann immer man will. Aber das bedeutet nicht, dass man ganz der Laune seines Verlangens überlassen wird. Zu Beginn der Umstellung auf Intuitive Eating ist es in der Tat oft ein Phänomen, dass man zunächst vermehrt zu Pizza, Pasta und Schokolade tendiert. Dieses Verlangen verschwindet aber in der Regel auch schnell wieder, und die Gelüste pendeln sich langsam ein. Der Grund für dieses anfängliche Verlangen nach „comfort foods“ liegt in der zuvor jahrelangen Tabuisierung solcher „ungesunden“ Nahrungsmittel, was deren Attraktivität ungünstiger Weise ins Unermessliche gesteigert hat. Es kann durchaus eine Weile dauern, bis sich die Essgewohnheiten nach jahrzehntelangen Verboten und Kalorienzählen normalisieren. Langsam aber sicher wird man lernen, dass diese Nahrungsmittel nicht „besser“ oder „schlechter“ sind als andere, aber dass sich der Körper langfristig nicht gut anfühlt, wenn er ausschließlich mit Pizza und Pasta „gefüttert“ wird. Es ist genau diese Fähigkeit, körpereigene Empfindungen wahrzunehmen, die als interozeptives Bewusstsein bezeichnet wird und für Intuitive Eating unerlässlich ist. Denn es gilt erst, zu erspüren, was einem gut tut, und dies dann im zweiten Schritt auch zu berücksichtigen.
Mythos #2
Intuitives Essen ist rein instinktiv
Eine Lexikon-Definition von intuitiv ist, dass es „instinktiv“ ist. Laut Resch ist es allerdings ein Irrglaube, dass wir allein aus dem Instinkt heraus essen können und dass die wahre Definition von intuitivem Essen das dynamische Zusammenspiel von Instinkt, Emotionen und Gedanken ist. Unser Gehirn hat drei integrale Systeme: Das „instinktive“ Reptiliengehirn regiert die Urinstinkte und Impulse, das „emotionale“ Säugetiergehirn ist für Gefühle zuständig, und das „rationale“ menschliche Gehirn (der Neokortex) erzeugt rationale Gedanken.
Eine wichtige Funktion des hochentwickelten Neokortex ist, dass er die Instinkte und Emotionen der Menschen überwachen und beeinflussen kann – zum Guten wie zum Schlechten. Wenn wir aus Angst oder Nervosität keinen Appetit haben, kann der Neokortex uns daran erinnern, dass wir dennoch etwas essen sollten, aber er kann auch als interne „Lebensmittelpolizei“ fungieren und uns sagen, dass wir unsere Hungersignale ignorieren sollen oder dass wir uns „schlecht“ fühlen müssen, weil wir einen „ungesunden“ Keks gegessen haben. Beim Intuitive Eating geht es also auch darum, zu erkennen, welche „Mächte“ gerade am Zug sind, und gewisse „Instinkte“ somit ggf. auch mal zu ignorieren.
Einstieg in die Ernährungsumstellung
Intuitive Eating will also geübt und gelernt sein. Eine gute Möglichkeit, sich wieder mehr auf die körpereignen Signale zu besinnen, ist ein radikaler Bruch mit den bisherigen Essgewohnheiten und -mustern. Unserer Erfahrung nach gelingt dies vor allem im Rahmen einer mehrtägigen Saftkur besonders gut, denn währenddessen ernährt man sich grundlegend anders als sonst und hebelt somit Gewohnheiten und emotionsbedingte Gelüste systematisch aus. Ein netter Nebeneffekt: Auch die Geschmacksnerven neutralisieren sich bei einem Juice Cleanse, da man weniger süß und salzig isst. Somit ist eine Saftkur der ideale Einstieg ins Intuitive Eating.
Resch, Elyse & Evelyn Tribole (1995): Intuitive Eating: A Revolutionary Program That Works, New York: St. Martin’s Griffin.